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Die Weisheit der Schildkröte

Die Schildkröte hat einen festen Platz in meinem Leben, und mein Logo stellt eine Weltenschildkröte dar, weil sie als weise Botschafterin überall auf der Welt in allen Klimazonen zu Wasser und zu Land zu finden ist. Eine Anpassung über mehr als 200 Millionen Jahre hat sie geleistet!
Wenn sie sich ausruhen muss, um neue Kraft zu schöpfen, kann sie sich einfach in ihren Panzer zurückziehen, den sie wie ihr Haus mit sich herumträgt. Sobald sie sich gestärkt fühlt, streckt sie ihren Kopf und alle Gliedmaßen wieder heraus, und begibt sich in die Welt. Und da draußen in der Welt haben Vertreterinnen ihrer Spezies einen inneren Kompass, der sie zielsicher die Weltmeere durchschwimmen und immer wieder zu „ihren Wurzeln“ – nämlich dem Strand, an dem sie geschlüpft sind – zurückkehren lässt.
In Arizona wie auch im gesamten nordamerikanischen Raum glauben viele indigene Völker, dass ihre „Turtle“ die Welt auf ihrem Panzer getragen hat. Sie wird als Urmutter von „Turtle Island“ gesehen (dem Namen der indigenen Völker für die Großmutter Erde) und hat die Welten über Jahrtausende hinweg beschützt.
Immer wieder habe ich auf meinen Reisen überlieferte Schildkrötengeschichten gehört, in Kaua´i (der ältesten Insel des hawaiianischen Inselarchipels) wie auch im Okawango Delta in Botswana, in den Nationalparks von Südafrika und Namibia, im japanischen Kyoto und im mexikanischen Oaxaca. In allen diesen Geschichten hatten die Schildkröten Humor und Grips. Kulturübergreifend steht diese große Überlebenskünstlerin für bedeutungsvolle menschliche Eigenschaften. Für mich verkörpert sie vor allem Weisheit.
Die Schildkröte und ich sind uns wie zufällig wieder und wieder begegnet.  Und irgendwann habe ich damit begonnen, mich regelmäßig mit ihr zu unterhalten.
Vielleicht nahmen die Gespräche in meinem Sabbatjahr 2003 ihren Anfang. Ich war in der Milton Erickson Foundation of Hypnosis in Phoenix, und in diesem Jahr, in dem ich viel Neues erlebte und mangels tieferen Durchblickes irgendwann damit aufhörte, alles permanent beurteilen zu wollen, lernte ich meine Schildkröte besser kennen.
Dort in der Foundation tauchte eines Morgens auch eine lebendige Wüstenschildkröte auf, die offensichtlich beschlossen hatte, vorerst hier zu bleiben. Zu einer richtigen Begegnung kam es am Anfang noch nicht, da Schildkröten in ihrer Natur generell wenig sprechen. Dafür ist aber ihre Körpersprache umso beredter. Ein Augenzucken kann ebenso wie eine kleine Bewegung der Mundwinkel so vieles bedeuten. Am meisten „sprach“ ich in Gedanken mit einer steinernen Schildkröte, die ich in einem Garten gesehen hatte. Die sah ich nun häufiger vor meinem inneren Auge, und manchmal unterwegs in Form anderer Schildkröten, wie sie in Phoenix bzw. Arizona überall zu finden sind. Kleine Skulpturen, Wegweiser, Ohrringe und Kettenanhänger, einige waren stumm, andere hatten eine Botschaft für mich. Ich schaute sie alle an und achtete auf ihre körpersprachlichen Botschaften.
Mit der Zeit lernte ich auch die Bewegungen meiner Turtle besser zu deuten und traf mit meinen Interpretationen öfter ins Schwarze. Dann lächelte sie jedes Mal wissend. Oder vielleicht sah es auch nur so aus, da ich in solchen Momenten mehr auf ihre breiten Mundwinkel achtete. Nur manchmal blinzelte sie mich zwischendurch an, so als wollte sie mir sagen: „Mach dich locker.“ Ich lernte ihre Körpersprache zu schätzen und fand unsere nonverbalen Unterhaltungen immer normaler.
Irgendwann nach ein paar Monaten kam der Moment, in dem sie mich einmal mehr überraschte. Ich hörte ihre knarzige Schildkrötenstimme an meinem Ohr einen richtigen Satz sprechen! Diesmal sagte sie es tatsächlich: „Mach dich locker. Entspann dich und finde erst heraus, was du willst, bevor du etwas tust.“
Sie konnte tatsächlich sprechen, es hatte nur eine Weile gedauert, bis sie sich dazu entschlossen hatte mit mir zu reden! Ich freute mich über ihre Worte, ihre Aufmerksamkeit und ihre Weisheit.