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Januar 2024

Gelassenheit, die einfach passiert

Vor Kurzem ging die unglaubliche Geschichte eines Flugzeuges durch die Nachrichten, das in Japan bei der Landung Feuer fing und lichterloh brannte. Dank der besonnen Handlungsweise der Crew konnten alle 379 Passagiere das Flugzeug lebend verlassen.

Als ich davon hörte, musste ich wieder an eine Geschichte denken, die ich schon vor längerer Zeit mal gelesen hatte. Da hatten ebenfalls Passagiere in einem brennenden Flugzeug gesessen, waren aber nicht in Panik verfallen, sondern bis zur ebenfalls erfolgreichen Notlandung ruhig geblieben. Woran das lag? Nun, es gab eine sehr besonnene Ansage des Piloten.

Der hatte sich mit ruhiger Stimme an seine Crew und seine Passagiere mit folgenden Worten gewandt: „Ich habe eine interessante Nachricht für Sie. Nachdem wir jetzt hier schon ein paar Wochen am Simulator geübt haben, was man machen muss, wenn ein Triebwerk brennt, bekommen wir gerade die wunderbare Gelegenheit, das auszuprobieren, weil jetzt hier gerade ein Triebwerk brennt. Also kümmern wir uns jetzt mal um die notwendigen Sachen. Dazu gehört, dass sie jetzt ruhig sitzen bleiben. Wir kümmern uns um alles, wir melden uns, wenn es dann wieder erledigt ist.“

Wir wissen natürlich nicht, wie es dem Piloten in seinem tiefsten Innern ging. Aber mir hat sich die Geschichte eingeprägt, weil er offensichtlich nach außen eine ruhige Gelassenheit ausgestrahlt hatte. Da die Gelassenheit eine der wertvollen Ressourcen ist, über die ich hier in diesem Blog in den letzten Monaten zu schreiben begonnen habe, war mir die Erinnerung an diese Geschichte ein Anlass, mich diesmal der Gelassenheit als Thema zu widmen.

 

Kraftvolle Ruhe

Wenn ich an Gelassenheit denke, fällt mir als Erstes ein: Sie ist nicht nur das, woran vermutlich die meisten Menschen beim Hören des Wortes zunächst einmal denken. An das, was im Kopf passiert, also die geistige oder mentale Gelassenheit. Sondern sie ist auch etwas, das man körperlich im Empfinden von kraftvoller Ruhe erleben kann.

Wenn es um das Thema Gelassenheit geht, ist es deshalb immer sinnvoll, neben den geeigneten mentalen Strategien, um gelassener zu werden, auch etwas Gutes für den Körper zu tun, was einen in einen kraftvollen Ruhezustand bringt, wo man eine gute Atmung, einen guten weiten Raum im Körper oder auch wirkliche Kraft empfinden kann.

Wenn ich Ihnen eine genaue Vorstellung davon geben wollte, finde ich es am einfachsten, es mit einer Metapher zu beschreiben. Ein Bild, das ich auch oft in der Hypnose anwende, ist das Bild eines stabilen Baumes. Ein Baum macht ja nicht viel, er steht zunächst einmal einfach nur da. Gleichzeitig ist er aber ein gutes Sinnbild für so eine kraftvolle Ruhe, die er irgendwie ausstrahlt.

Wenn Sie sich zum Beispiel vorstellen, sich gegen einen Baumstamm zu lehnen, zu setzen oder zu stehen – oder es wirklich tun –, dann wird sich diese Ruhe auch auf Sie selbst übertragen. Das können Sie natürlich noch erweitern, indem Sie sich zum Beispiel auch vorstellen, dass Sie mit der Erde verbunden sind, dass also Ihre eigenen Füße wie die Wurzeln eines Baumes sein können und Ihr Körper der Stamm. Es gibt auch Körperübungen oder Hypnosen, um das zu erleben.

Alternativ könnten Sie natürlich auch durch die Identifikation mit der Gestalt eines Berges die ruhige Kraft der Gelassenheit in sich aufnehmen, zum Beispiel, wenn Sie den Schnee auf dem Gipfel und die Zeitlosigkeit in der Präsenz dieser majestätischen Welt betrachten oder sogar imaginieren.

Für diese Identifikation gibt es viele verschiedene geeignete Bilder. Um eine kraftvolle Ruhe und Gelassenheit zu entwickeln, könnte es aus der Tierwelt zum Beispiel auch die Metapher eines starken Bären oder Elefanten sein. Es ist bei der Auswahl der Vorstellung einfach nur wichtig, dass Sie etwas finden, das für Sie selbst passt.

 

Verbunden sein

Ein weiteres Tier, der Adler, steht für einen anderen Aspekt von Gelassenheit. Bei dieser Vorstellung geht es eher darum, dass wir wirklich den Überblick haben, also in der Lage sind, alles Wesentliche gleichzeitig zu sehen, und gleichzeitig aber auch mit den scharfen Adleraugen Details wahrnehmen können. Das ist eine wesentliche mentale Qualität der Gelassenheit.

Neben der körperlichen und der mentalen Dimension gibt es als dritten Teil auch noch die emotionale Komponente der Gelassenheit. Sie kann zum Beispiel etwas damit zu tun haben, in einer vertrauensvollen, guten Beziehung zu sein, sich geschätzt, geachtet, akzeptiert zu fühlen, eine sichere Position in der Gemeinschaft zu haben, in der eigenen Familie, mit FreundInnen oder im Berufsleben. Mit dem Gefühl, ich bin in einer für mich guten Umgebung, ich kenne mich aus und ich kann so sein, wie ich bin, entsteht ein Empfinden, gegründet und getragen zu sein.

In diesem Zusammenhang fallen mir Forschungen ein, die sich kulturübergreifend auf der ganzen Welt mit der Frage beschäftigen, was für uns Menschen wichtig ist, um ein gutes, sinnvolles Leben im weitesten Sinne zu führen. Und zwar nicht im Kontext von biologischen Grundbedürfnissen wie Schlafen, Wärme usw., die selbstverständlich ebenfalls erfüllt sein müssen, sondern im Sinne der Lebensgestaltung, und da gibt es tatsächlich genau drei Faktoren. Der erste Faktor ist die eben beschriebene gute Verbindung in den Beziehungen zu anderen Menschen, dass man sich eben geachtet, geschätzt, geliebt und im weitesten Sinne zugehörig fühlt.

Wir fühlen uns außerdem auch dann gelassener, wenn wir eine gute Verbindung mit uns selbst haben. Sich seiner selbst bewusst zu sein, gehört sicher genauso zentral dazu wie das Gefühl, sich selbst und der Welt im großen Ganzen zu vertrauen.

Der zweite der drei erwähnten Faktoren ist übrigens die Autonomie, das bedeutet in diesem Fall: Eigene Steuerungsfähigkeit. Ich weiß, dass ich selbst Entscheidungen treffen kann, ich bin frei und ich kann selbst mein Leben gestalten.

Und der dritte Faktor ist ganz direkt mit dem Gefühl der Einzigartigkeit verknüpft – hier geht es um die Möglichkeit, sich mit etwas einzubringen, was man richtig gut kann, und damit auch positiv Einfluss zu nehmen. In der amerikanischen Forschung wird das mit „to make a difference“ beschrieben. Wenn es also einen wirklichen Unterschied macht, ob ich da bin oder ob ich nicht da bin.

In Kulturen, in denen eher das Kollektiv als das Individuum im Mittelpunkt steht, geht es hierbei nicht so sehr um die Einzigartigkeit für sich selbst, sondern vor allem um die Nützlichkeit der/s Einzelnen im Kollektiv. Aber es ist inhaltlich die gleiche Qualität: Dass man sich mit etwas einbringen kann, was man gut kann und auch sehr gerne machen möchte.

Alle drei genannten Faktoren, und ganz besonders der Bindungsfaktor, sorgen für Sicherheit, Vertrauen und Gelassenheit, die eng miteinander zusammenhängen.

Und was ist das Gegenteil von Gelassenheit? Da denke ich an Unruhe auf der körperlichen Ebene, auf der emotionalen Ebene an Angst und auf der geistigen an Konfusion oder Chaos.

 

Ich lass jetzt mal sortieren

Schließlich will ich Ihnen auch noch von einer sehr frischen persönlichen Erfahrung mit dem Thema Gelassenheit erzählen. Ich suche seit einiger Zeit nach einem/r neuen KollegIn in der Praxis. Die Suche gestaltet sich nicht einfach, sie belastet und stresst mich, zumal es immer wieder Absagen von anfänglich durchaus vielversprechenden KandidatInnen gibt.

Als eine der unerfreulichen Absagen kam, war ich gerade den letzten Tag in einem Seminar mit dem Thema „Was in Krisen trägt“ in Schloss Elmau (ja, dem, in dem schon zweimal der G7-Gipfel stattfand) mit der Yogalehrerin Patricia Thielemann und dem Jesuiten Michael Bordt, der uns mit der stillen, gesammelten kontemplativen Meditation in der Tradition des Jesuitenordens vertraut machte, bei der Elemente der Mindfulness- und Zenmeditation miteinander verbunden sind. Wir haben uns dort vier Tage mit dem Thema beschäftigt und Yoga- und Meditationsübungen verschiedenster Art dazu gemacht.

Am letzten Tag erhielt ich also etwa eine Viertelstunde vor einer Meditation die Absage einer vielversprechenden Bewerberin, ganz kurz vor dem von mir fest erwarteten Vertragsabschluss. Und dann saß ich in der Meditation und beobachtete meine Stressreaktion. Ich merkte, wie der Stress von oben bis unten durch meinen Körper ging, wie die Gedanken schossen, wie ich mit Panikwellen konfrontiert war. Doch ich konzentrierte mich weiter auf meine Nase und atmete, und ich merkte, dass sich im Laufe der Meditation etwas veränderte in dem Chaos dieser Energieströme, die mich durchliefen.  

Wir meditierten 25 Minuten, und mir kam das sehr kurz vor. Aber in den letzten Minuten hatte ich einen anderen energetischen Zustand, der zwar hoch dynamisch war, aber mit einer nun irgendwie geordneten Dynamik.

Dann war die Meditation zu Ende, und es gab wie immer eine Runde, in der wir gefragt wurden, wie es denn war? Als ich von meiner Erfahrung berichtete, erzählte Michael Bordt, einer seiner Kollegen würde zu dem, was ich da erlebt hätte, sagen: „Ist es nicht toll? Ich lass jetzt mal sortieren.“

In dem Moment, als er das sagte, dachte ich: Ja, genau! Wie großartig, wenn ich mich darauf verlassen kann: Ich musste mich jetzt hier nur hinsetzen, und dann sortierte mein Gehirn für mich. Ich musste gar nicht drüber nachdenken, ich musste keine Lösungsstrategien entwickeln, sondern da passierte etwas in mir nur dadurch, dass ich mich auf meine Nasenflügel konzentrierte. Und ich genoss die Gelassenheit, die das in mir ausgelöst hatte.